Taktische Übung „Diplom 81“
Unter der Leitung des NATO – Oberkommandos Europa führten, wie alle 2 Jahre wieder, andere NATO-Kommandos in Europa ihre Kommandostabsübung „Medium Scale Exercises“ durch. Dabei wird vor allem das Zusammenwirken zwischen zwei Armeekorps unterschiedlicher Nationen die Abstimmung der Handlungen an den Trennungslinien zwischen den Armeegruppen Nord und Mitte sowie der Einsatz der zweiten Staffeln und Reserven trainiert. Im Jahre 81 führte die NATO-Armeegruppe Mitte diese Übung unter dem Namen „Constant Enforcer“ durch.
Natürlich wurden dieses Übungen von Funkelektronischen- und Agenturaufklärungsorganen der damaligen NVA begleitet, um daraus Schlüsse zu ziehen und bei Notwendigkeit, schon in Friedenzeiten, Möglichkeiten der Störung des Zusammenwirkens sowie der Verlangsamung der Heranführung von strategischen Reserven des Gegners zu üben. Die An-26 startete vom Flugplatz Dresden, in den ganz frühen Morgenstunden dieses Septembertages in noch völliger Dunkelheit und überflog die Übungsgrenze, begleitet von Jagdbombenflugzeugen, in einer Höhe von ca. 7.000 m. Nach etwa 30 weiteren Flugminuten kurvte die Maschine in Gegenrichtung ein und verlor an Höhe. Bei 1500 m, die Jäger hatten bereits die Aufzugsleinen eingehängt und standen zum Sprung bereit, öffnete sich das breite Maul der Maschine und das unangenehme Krächzen der Absprunghupe ertönte gemeinsam mit dem Aufleuchten der grünen Lampe. 15 Sekunden danach war die Maschine leer und die Jäger fielen mit 180 km/h der Erde entgegen. Nach 15 Sekunden öffneten Sie ihre Fallschirme.
Sie sprangen in den neuen Tag und landeten auf einer kleinen Waldlichtung in leicht sumpfigen Gelände, zum Leidwesen des Einsatzgruppenführers doch recht weit auseinandergezogen, was das Sammeln der Einsatzgruppe – Zug erschwerte. Nach etwa 20 Minuten erst, war die Einsatzgruppe vollzählig, was die Schiedsrichter, die am Absetzort standen, mit bedenklichem Kopfschütteln quittierten. Gelandet wurde irgendwo im Thüringer Wald.
Sie, das waren FJ des letzten Dienstjahres mit einem Offizier, drei Unteroffizieren (Ufw. S., Uffz P. und Uffz T.) und 24 Soldaten der Kompanie sowie zwei Einsatzgruppenfunkern. Die Aufgabe war gestellt: Vernichtung eines Führungskomplexes. Absetzen vom Gegner und beziehen einer Basis zur weiteren Aufgabenerfüllung. Ich vermutete, dass die weitere Aufgabe mit der Vernichtung oder dem Aufhalten von bestimmten Reserven tun haben wird. Nach dem die Schirmtechnik geborgen war, holten wir uns erst mal nasse Füße auf dem Marsch zum Warteplatz.
Unterwegs wurde unter gebotener Vorsicht marschiert. Etwa alle drei Km wurde einen Sammelpunkt festgelegt, der über ein bestimmtes Zeichen anzulaufen ist. Der erste Jäger, der zu diesem Zeichen kommt, nach dem die Einsatzgruppe sich in alle Winde zerstoben hat, weil sie aufgeklärt oder angeschossen wurde, klärt den Sammelplatz auf und sichert ihn. Dabei liegt er in der Nähe des Zeichens und weist ankommenden Jägern einen Platz in dem zu organisierenden Sicherungssystem zu, bis ein Vorgesetzter eintrifft. Ist der Platz vom Feind besetzt, wird das Zeichen zerstört und der vorherige Sammelpunkt angelaufen. Da die Einsatzgruppe (EG) vom Personalbestand her ziemlich groß war, wurde außer der Spitzensicherung und dem Deckungstrupp auch zwei Seitensicherungen befohlen. Vor allem handelten diese Seitensicherung in Richtung von Straßen und Ortschaften, die auf dem Weg zum Warteplatz tangiert wurden.
Die Überquerung einer Autobahn war ein wirkliches Hindernis. Erst nach gründlichem Kartenstudium wurde eine kleine Unterführung unter der Autobahn entdeckt, die aber mit Wasser gefüllt war. Sie war etwa 2 km vom derzeitigen Standort der EG entfernt. Es war ein kleiner Flusslauf. Hier wurden die Jäger schon wieder nass bis auf die Haut. Aber das Wetter spielte mit. Die Annäherung an diesen kleinen Tunnel konnte nur dadurch geschehen, dass die Jäger etwa 200 m vor der Unterführung bereits das Flüsschen bestiegen und sich geduckt, nur mit dem Kopf und der Waffe aus dem Wasser ragend annäherten, denn die letzten 200 m und auch etwa 150 m nach dem Tunnel, boten keine Deckung. Ein Entkleiden und ein Knotenschwimmsack kam nicht in Frage, weil wir bei einer Entdeckung sofort gefechtsbereit sein mussten. Also waren wir alle nass wie begossenen Pudel. Nach dem Verlassen des Flüsschens wurden erneut Sammelpunkte festgelegt. Auf der Hut mussten wir permanent sein, denn nicht nur unser Kommandeur suchte uns mit einem Hubschrauber und hatte dabei den Vorteil, dass er wusste, wo wir uns etwa aufhalten, sondern auch andere Truppen flogen im Rahmen einer Kommandostabsübung und der Übung eines Nachrichtenbat. einer Division (ich glaube mich zu erinnern, es war das NaB-11 der 11. MSD) durch die Luft und wussten von einer realen Gegnerdarstellung.
Also nach etwa 8 Stunden erreichten wir den Raum unseres Warteplatzes. Dieser wurde nur leicht pio-technisch ausgebaut. Das System der Verbindung, das Feuersystem bei Entdeckung sowie das System des Verlassens und betreten des Warteplatzes wurde organisiert. Die Aufklärung des Überfallobjektes wurde organisiert. Dazu teilte der Einsatzgruppenführer (EGF) 8 Späherpaare ein. Das Gebiet der Aufklärung betrug annähernd 30 Quadratkilometer, so dass er 7 Stunden für die Aufklärung veranschlagte. Acht Späherpaare bedeutet auch 8-fache Gefahr, des Erkannt werdens. So schärfte der EGF nochmals den Spähpaarführern ein, dass es nicht sein darf, dass sie selber durch den Feind gesichtet oder verfolgt werden dürfen. Aus heutiger Sicht, hätte ich den ganzen Einsatz anders geplant. Durch die heutigen Mittel der Funkaufklärung (allerdings damals auch schon) hätte das Gebiet wesentlich mehr eingeschränkt sein können. Es wurde vereinbart, dass bei einer Entdeckung eines Späherpaares, eine grüne Leuchtkugel durch diese „Unglücksraben“ abgeschossen werden sollte. Um diese auch zu erkennen, wurden zwei Jäger auf einem hohen Baum, außerhalb des Warteplatzes als Beobachter eingeteilt. Ausgemacht war, dass, wenn diese Jungs in Feindeshand fielen, sie wenigsten 8 Stunden, keine Aussagen über die EG machen dürften, damit die EG den Warteplatz (WaPl) verlassen konnte. Nach etwa 4 Stunden kam ein Späherpaar zurück und meldete den Standort des Führungskomplexes. Sie war untergezogen in einer landwirtschaftlichen Produktionsstätte, am Hang eines Berges, der Höhe (ich weiß nicht mehr) und hatten ihre Mehrkanal – Richtfunkstrecken über die Kappe des Berges gezogen in Richtung des benachbarten Armeekorps.
Des weiteren wurden KW – Funkstationen sowie taktische Satellitenfunkstationen aufgeklärt. Durch die frühzeitige Aufklärung hatte der EGF genügend Zeit, sich Gedanken über die Vernichtung des Objektes zu machen. Normalerweise hätte ein Schlag der Raketentruppen oder Fliegerkräfte, die Episode beendet. Aber die Aufgabe lautete nun mal anders. Mit Hilfe der beiden Aufklärer wurde ein kleiner Sandkasten innerhalb des WaPL erbaut und der Uffz. und der Stgefr. bereiteten sich auf die topographische- und taktische Einweisung der anderen Angehörigen der EG vor.
Die Idee war etwa folgende:
Unter Bildung von zwei Deckungstrupps und zwei Überfalltrupps, davon einer nur bestehend aus 5 Soldaten mit Handfeuerwaffen und Handgranaten als Ablenkungstrupp und einer bestehend aus 12 Soldaten als eigentlicher Vernichtungstrupp. Die Deckungstrupps bestanden aus je 3 Jägern mit jeweils einem lMG hatten zusätzlich die Aufgabe, die zwei Zugangsstraßen mit Panzerminen zu verminen. Der kleine Überfalltrupp hatte die Aufgabe die Versorgungseinrichtungen des operativen Kerns der Führungsstelle durch gezieltes Feuer zu belegen, Personalbestand zu vernichten und Verwirrung zu stiften, sowie ein Eingreifen dieser Kräfte in die zu erwartenden Verteidigungshandlungen der Besatzung des Führungskomplexes nicht zuzulassen. Des weiteren hegten wir die Hoffnung, dass der Gegner sich auf das Feuergefecht dort konzentriert und der große Überfalltrupp der etwa 1 Minute später angreifen sollte, somit ein leichteres Handeln hätte. Eine unbemerkte Annäherung an den Führungskomplex war möglich aber eine Entdeckung nicht ausgeschlossen. Was uns natürlich sehr zum Nachteil gereichte war die Tatsache, dass ein Schiedsrichter vor unserem Überfall, in den Führungskomplex musste und unseren Angriff ankündigen musste. Da solche Nachrichteneinheiten mit SAS – Technik grundsätzlich durch Posten mit scharfem Schuss bewacht werden, mussten die Sicherungssoldaten für die Zeit des Überfalls Ihre Waffen entladen und Sicherheit herstellen. Nur deshalb machten wir diesen Scheinangriff durch den kleineren Überfalltrupp in der Hoffnung, dass unser „Gegner“ sich vom eigentlichen Überfallobjekt abwendet und uns die Möglichkeit eines ordentlichen Überfalls gibt.
Wir durften auch keine Technik mit unseren Granaten (Knallkörpern) beschädigen, so dass es zwar ein wüstes Geknalle gab, aber keine unmittelbare Berührung mit unserem „Gegner“, was aber sonst eigentlich die Höhepunkte solcher Übungen sind. Pünktlich um 01.32 Uhr eröffnete der kleine Überfalltrupp das Feuer. Die Deckungstrupps zogen ihre Minenbretter auf die Anmarschstraßen.
Es war wie wir erhofften. Die Posten vor einer großen Betonhalle, in welcher der „gegnerische Kommandeur“ mit seinem Stab untergezogen war und um den herum die Führungstechnik stand, teilweise wie wir anschließend feststellten auch innerhalb der Halle, wurden abgelenkt und versammelten sich an einer der Fronten der Halle. Hier wurden Sie vom Dach der Halle aus, die vorher zwei Jäger erklommen haben und einen Strehlatrupp (Fliegerabwehrrakete) ausgeschaltet haben der dort postiert war, durch Feuer vernichtet. Gleichzeitig wurde die draußen stehende Gefechtstechnik mit Kreide bemalt und als vernichtet gekennzeichnet. Ein Teil des Überfalltrupps drang in die Halle ein. Dort wurde alles vernichtet durch Kreide und „gute Worte“. Der „gegnerische Kommandeur“ und seine Stabsarbeiter wären nicht mehr in der Lage gewesen zu handeln. Im Ernstfalle wären Sie tot oder verwundet. Im Ernstfalle hätten wir auch jede Menge geheimes Material erbeutet. Das wurde auf unserem Dienstauftrag auch quittiert. Der ganze Überfall dauerte vom ersten bis zum letzten Schuss vielleicht 5 Minuten. Die Jäger entfernten sich vom Überfallobjekt sternförmig und machten sich auf den Weg zum SaP (Sammelpunkt) nach dem Überfall. Dort wurde die Meldung abgesetzt, dass das Gelingen der Aufgabe anzeigte.
Ein neuer Raum wurde befohlen, der aber zum Glück nicht allzu weit weg war. So konnten wir den neuen Warteplatz nach etwa 4 Stunden Marsch erreichen. Es graute schon wieder der Morgen. Die nun gestellte Aufgabe war nicht mehr so kompliziert. Wir hatten die Autobahnabfahrt (oder Auffahrt – wie man will) WALTERSHAUSEN (etwa 15 km westlich von GOTHA) aufzuklären, zu beobachten und zur Vernichtung vorzubereiten. Aufklärung und Beobachtung war ja nun nicht so kompliziert. Aber die Vorbereitung zur Vernichtung war am Tage schlechterdings unmöglich ohne selber erkannt zu werden. So verbrachten wir einen ruhigen Tag mit Beobachten und meldeten alle 4 Stunden unsere Ergebnisse. Die Funker hatten genügend Zeit die Meldungen zu verschlüsseln. Sie wollten am liebsten alles per Tastfunk melden. Aber ich befahl, dass die Meldungen per Locher in einen Filmstreifen gestanzt wurden und per Schnellgeber abgesandt wurden. Erst mit Eintritt der Dämmerung näherten wir uns an. Für uns kam es eigentlich nur so in Frage, dass die Brücke über die Autobahn von WALTERSHAUSEN nach LAUCHA zu sprengen ist. Das würde den Verkehr auf der Autobahn zwar nur kurz blockieren aber mehr Möglichkeiten hatten wir nicht.
Nun mussten wir erst mal feststellen welche Bewährung die Brücke hatte. Dann wurde berechnet, wie viel brisanten Sprengstoff man benötigt hätte. Natürlich mehr als wir mitgeführt hätten. Aber darauf kam es wohl nicht an. Im Ernstfall hätte uns ein Abwurf des benötigten Materials in die Lage versetzt, die Aufgabe zu erfüllen. Wie am Anfang des Berichtes erwähnt, sollten wir auch herangeführte Reserven vernichten bzw. aufhalten. Da die NVA bei Übungen aber kaum mal Autobahnen für Verlegungen mit Gefechtstechnik nutzte, war es müßig auf wichtige militärische Einheiten zu warten um diesen dann die Brücke auf den Kopf zu werfen. Ich denke, dass im Ernstfall hier eine ganz bestimmte Kolonne erwartet worden wäre, die dann durch uns durch Sprengung der Brücke in Verbindung mit der Durchführung eines Hinterhaltes vernichtet werden sollte. Hier denke ich besonders an marschierende Stäbe, Raketen- oder Artillerieeinheiten sowie Aufklärungsschlag- und Führungskomplexe.
Nach Erfüllung dieser Aufgabe strebten wir dem Platz der Wiederaufnahme (PdW) entgegen. Dieser aber war gemeiner Weise nicht beziehbar, da er sich mitten in einem Bereitstellungsraum von Kampfgruppen der Arbeiterklasse befand, die an diesem Sonnabend Ihre monatliche oder ich weiß nicht was für eine Übung, abhielten. So wurde ein neuer PdW befohlen. Dort wurden wir dann durch zwei W-50 aufgenommen. Im Panzerregiment, welches in Gotha lag, und wo unser vorgesetzter Stab untergebracht war, duschten wir erst mal, wir stanken wie die Widerhupfe, erhielten unsere erste Auswertung, die so schlecht nicht war und verlegten am folgenden Tag zurück in unsere Kaserne.